We laugh an ugly love
Diese Arbeit entstand im Rahmen des Kurses: „We laugh an ugly love“ bei Prof. Laurent Lacour. Inhalt: „Eine theoretisch-soziologische und konzeptionell-gestalterische Auseinandersetzung zu den komplexen Verflechtungen von Humor, Satire, Witz, Lachen, Ironie, Komik, im zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext.“
„TikTok wird immer relevanter. Da müssen wir uns mehr mit beschäftigen!“
Diesen Satz hab ich als Werkstudent einer Marketingagentur im letzten Jahr dutzende Male genauso gehört.
Hintergrund
Ich habe schon viel Zeit mit Videos verbracht. Ich scrolle gerne durch Instagram oder Twitter, schaue unterhaltsame Videos die mir meine Freund*innen schicken oder zeigen. „Ich müsste eigentlich doch Spaß an TikTok haben“, dachte ich mir. Doch im Gegensatz zu den anderen sozialen Plattformen, war ich bei TikTok sehr voreingenommen. Artikel und Berichte über die stattfindende Zensur und die Suchtgefahr hielten mich davon ab die App zu nutzen.
Gleichzeitig fing ich im letzten Jahr an meinen persönlichen Content-Konsum auf Instagram oder Youtube immer mehr zu hinterfragen, sodass ich mich nicht so recht mit einer weiteren – und scheinbar noch „spannenderen“ – App anfreunden konnte.
Web und Witz im Wandel
Am Anfang war das Internet ein magischer Ort voller Möglichkeiten. Und auch von den Geräten schien ein (positiver) Fortschritt auszugehen. Als 2007 das erste iPhone auf den Markt kam, war das Gerät mehr ein Werkzeug oder Hilfsmittel mit dem man aus der Hosentasche ganz neu kommunizieren, recherchieren und jede Menge Spaß haben konnte. Also wie sind wir von der Handy-Magie zur Handy-Manie gekommen?
Die Internet-Smartphone-Video-Zeit
Scrollte man früher noch hauptsächlich am Computer durch Meme-Seiten oder schaute Videos, so wurde es immer mehr auch unterwegs möglich. Mit dem Ausbau des schnellen mobilen Internets fing das „mobile first“-Zeitalter an. Mittlerweile geht über die Hälfte des weltweiten Internet-Traffics von Mobilgeräten aus. Dementsprechend entwickelten sich auch die Witz- und Videoformate weiter. Von Quer- zu Hochformat, von statischen Memes, über GIFs zu (Kurz-)videos. Gleichzeitig die Konsequenz: Der Content wird nicht bloß täglich, sondern stündlich, minütlich, sekündlich konsumiert.

Die „TikTokisierung“
Als „Zillenial“ – also zwischen Millenial und Gen Z – habe ich das Gefühl die letzte Generation zu sein, welche das Aufkommen von Social Media von Anfang an erleben durfte. Während früher eine klare Trennung zwischen den sozialen Netzwerken (Facebook), den bildbasierten- (Instagram) und den videobasierten Netzwerken (Youtube und Co.) gab, so wollen doch alle mittlerweile so erfolgreich sein wie TikTok. Bei Facebook und Instagram gibt es plötzlich Stories & Reels und die Youtube-App setzt auf „Shorts“. Zudem haben sich nun die Algorithmen für die User*innen als persönliche Contentmaschine mit höchster Effizienz etabliert. Wir suchen nicht mehr selbst den Content aus. Der Algorithmus sucht ihn für uns aus.
„Höher, schnell, weiter. Und süßer.“
Ich habe letztes Jahr eine Kommilitonin kennengelernt. Sie hat mir erzählt, dass sie TikTok mittlerweile etwa schon zum zwölften Mal heruntergeladen und wieder gelöscht hat. Auf die Frage nach dem Grund, hat sie mir gesagt: „Währenddessen ist es super, wenn mir der Algorithmus nur die süßesten Katzenbabys zeigt, aber direkt danach spüre ich wie der Zauber verfliegt und ich mich frage was ich eigentlich die letzte Stunden gemacht habe.“ Auf die Frage warum sie nicht einfach ein Youtube-Video guckt, entgegnet sie: TikToks spielen für sie in einer anderen Liga: „Höher, schnell, weiter. Und süßer. TikTok ist für mich wie ein Rausch. Noch mehr als jede andere Soziale Platform.“
Projekt: TikTok verstehen
Diese Aussage bekräftigte einerseits meine Vorurteile, befeuerte andererseits aber meine Neugier und den Drang nachzuvollziehen wie die Mechanik von TikTok genau funktioniert.






TikTok-Tagebuch
Als ich TikTok das erste Mal geöffnet habe, konnte ich die vielen Eindrücke kaum verarbeiten. Ich war schnell in einer Spirale aus kurzweiligem Content gefangen. Nachdem ich die App wieder geschlossen hatte, konnte ich mich jedoch kaum erinnern, was ich alles gesehen hatte.
Ich legte mir ein neues Profil an und beschloss, Screenshots zu machen und mitzuschreiben, was ich sehe. Als ich die Notizen später gelesen habe, kam mir die Idee daraus eine Art Tagebuch zu machen. Denn die nüchternen Notizen unterstrichen die Absurdität der TikTok-Videos und nahmen ihnen ihre Kurzlebigkeit und Geschwindigkeit.
Spannend fand ich zudem, wie abgedreht die TikToks auch in reiner Textform wirken können. Mir gefiel die Idee TikTok in einem reinen Textvortrag zu thematisieren. So war es mir möglich, die Eigenheiten der Platform darstellen und gleichzeitig die Mechanismen zu durchbrechen.
Videoskript:
Ich wache auf und schaue auf mein Telefon. Sonntag, 14 Uhr. Katersonntag.
Mein Mitbewohner und ich sind erst vor ein paar Stunden nach Hause gekommen.
Ein Arbeitskollege von mir hat in Oberhausen aufgelegt. Es wurde getrunken, gelacht, getanzt. Mein Kopf ist schwer und leer. Es fehlt Endorphin und Erinnerung.
Heute wird sowieso nichts mehr passiert. Ich wische über mein Telefon und öffne TikTok.
Just dance (oh), gonna be okay, d-d-d-dance (gonna be okay)
Dance, dance (yeah)
Just, j-j-just dance (oh)
Zwei junge Mädchen im Einkaufszentrum tanzen gemeinsam zu dem hoch gepitchten Song von Lady Gaga – Just Dance.
Ich wische nach oben.
Lets go below zero and hide from the sun. I’ll love you forever where we’ll have some fun.
Es läuft eine gepitche Version von einem Song names Snowman.
Eine Slideshow von idyllischen Wintern.
Dann Schneematsch in Deutschland.
Dazu Furzgeräusche zum Takt.
Ich wische nach oben.
The gal dem Schillaci, Sean da Paul
So me give it to, so me give to, so me give it to, to all girls
Zwei Katzen tanzen in Diskolicht zu dem Song von Sean Paul.
Ich wische nach oben.
Ein gefaktes Werbevideo für das neue iPhone 16 Pro Max Ultra
Ich wische nach oben.
Now watch me whip (kill it)
Now watch me nae nae (okay)
Now watch me whip, whip
Watch me nae nae (watch me do it)
Zwei Mädchen tanzen dazu und schmeissen 3D animiertes Geld in die Luft.
Ich wische nach oben.
I’m feeling
Untouchable, untouchable
I’m feeling
(Nah to the ah to the, no, no, no)
Hey, hey, hey
Eine stark geschminkte Frau steht in einem virtuellen Klassenzimmer an der Tafel und rückt ihre Brille zurecht.
Im Video steht folgender Titel:
„POV Du bist die Lehrerin mit Style“
Ich wische nach oben.
Ein junge, kurvige Frau vor einem Spiegel streicht sich lasziv durchs Haar.
…
II.
TikTok spielt mir sogleich ein Video vor in der eine Frau auf Englisch verkündet, dass es ja jetzt einen Filter gebe mit dem man den sprechenden Hut aus Harry Potter aufsetzen kann. Sie filmt eine schwarze Katze und der digitale Hut verkündet laut „Hufflepuff“. Die zweite Katze hat rotes Fell. Sie kommt nach Ravenclaw.
Ich wische nach oben.
Ein junger Mann filmt sich selbst, während weibliche Computerstimme aus dem Off mitteilt, dass dieser Filter allen ihre Persönlichkeit in einem Wort beschreibt. Eine animierte Spielkarte wird über seinem Gesicht umgedreht. Auf ihr steht „Bitch.“
Ich wische nach oben.
Das nächste Video ist ein Livestream zweier Männer. Das Bild ist in der Mitte geteilt. Links jemand vor einer Russland-Fahne. Im Bild rechts ist eine Ukraine-Flagge im Hintergrund. Oben sind zwei Balken die scheinbar das Ergebnis eine Abstimmung darstellen. Es steht 761 zu 737 für Russland.
Ich öffne das Menu. In zwei von drei Werbebannern geht es um die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.
Ich wische nach oben.
Im nächste Livestream verkauft jemand Pokemon-Karten.
„We ship to USA, Canada and UK and there are more countries to come!“
Ich wische wieder nach rechts.
Ein Filter bei dem Köpfe zu hektischer Musik wackeln.
Ich wische.
Qu’est-ce que c’est?
Fa-fa-fa-fa, fa-fa-fa-fa-fa-fa, better
Run, run, run, run, run, run, run away, oh, oh, oh, oh
Ay-ya-ya-ya-ya-ya, ooh
Psycho Killer von den Talking Heads. Eine 3D-animierte Verfolgungsfahrt durch ein gruseliges Hotel. Eine Kinderfigur wird von einem Monster verfolgt. Das Gesicht der Frau macht Grimassen und singt das Lied mit.
Ich wische.
Zwei junge Mädchen im Livestream miteinander. Sie begrüßen sich. Das eine Mädchen trägt ein auffälliges T-Shirt mit Wolfskopf. Das andere Mädchen sagt ihr, dass es ihr gefällt und wo sie es her hat. „Oh Danke, das T-Shirt ist von meinem Bruder.“
Ich wische.
Mann mit Bierdose hält eine Motivationsrede, dass man doch einfach rausgehen und sich betrinken soll.
„A hangover lasts a day. But drunken memories, last a lifetime.“
Ich wische.
Livestream. Ein Beat.
Ein junger Mann rappt auf einem Beat, dass was er kommentiert bekommt.
Er reimt spontan Nudeln mit Käse auf Spaghetti Bolognese.
Ich wische.
Ein Mann hält ein Schild hoch auf dem steht, dass er 29 Sprachen spricht.
Ich wische.
Zwei Comicfiguren verabschieden sich kumpelhaft und küssen sich ausversehen.
Erste Figur: „Bro WTF?!“ Die Zweite: „Oh no! I am so sorry!“
Ich wische.
Wahrsager-Livefilter sagt jungem Mann er sei, „the Endgame in the story of someone else“
Ich wische.
Deutschrap über eine scheinbar so linke Studentin.
Ich wische.
Sprechender Hut.
Ich wische.
Psycho Killer!
Qu’est-ce que c’est?
Ich wische.
Faceswap mit Edward Cullen.
Ich wische.
Wobble, Wooobble. Wob Wob!
Köpfe wackeln zu aufreibender Dubstep-Musik.
Ich wische.
Wahrsager-Filter.
Ich wische.
Ich schaue.
Ich wische.
Ich schaue.
Ich tippe.
Ich wische.
Ich wische.
Ich schaue.
…
„Man will immer, was man nicht hat
Und wenn man’s hat, is langweilig!“
[…]
„Das Paradies hat geöffnet,
Es ist doch alles, es ist doch alles da, es ist doch alles da!“
Zitat aus dem Lied Captain Krümel von Rainald Grebe